Depressive – Die wirklichen Helden unseres Alltags!
Wirkliche Helden, wie zum Beispiel die mutigen Männer und Frauen die in die strahlende Ruine des Reaktors in Fukushima zurückgekehrt sind, um Schaden vom ganzen Land abzuhalten. Solche Helden gibt es auch in Ihrer Umgebung. Auf Ihrer Arbeitsstelle, im Supermarkt oder vielleicht auch in der Nachbarwohnung. Glauben Sie nicht? Am Ende dieses Artikels, werden Sie sehen, dass wir mit dieser Aussage absolut recht haben.
Hier mal ein fiktives Beispiel, um den Sachverhalt ein bisschen anschaulicher zu gestalten. Jemand, nennen wir ihn Max Muster, erleidet einen Unfall, ist danach querschnittsgelähmt und muss sich mit einem Rollstuhl fortbewegen. Vorher erfolgreich in Beruf und Sport, engagiert in vielen Vereinen und jetzt mit einem Schlag aus seinem gewohnten Leben gerissen. Jetzt gibt es Menschen, die unter dieser Last zusammenbrechen und nur noch mit Ihrem Schicksal hadern. Ganz anders aber der Mensch in unserem Beispiel. Er lässt sich davon nicht unterkriegen. Es wird ein Sportrollstuhl angeschafft, mit dem weiter trainiert wird, das Auto wird umgebaut, damit er weiter mobil bleibt und seinen vielen privaten Verpflichtungen nachkommen kann.

Depressiver Mann ©iStockphoto/berekin
Finanziert wird das Ganze mit einer neuen Arbeit. Unser Max Muster hat sich einen Job gesucht, den er auch mit seiner Behinderung ausüben kann. Dank seines großen Engagements ist er sehr erfolgreich. Würde man so Jemandem nicht allen Respekt und alle Achtung entgegen bringen? Man würde ihm auf die Schulter klopfen, in besonderen Situationen Rücksicht nehmen oder behilflich sein. Und insgeheim wünscht sich vielleicht auch der Eine oder Andere, nur eine kleine Portion von diesem Lebenswillen zu besitzen.
Nun ist so ein Handycap für Jedermann sichtbar, doch es gibt auch Behinderungen, die man nicht sieht, die aber noch schlimmer sein können als in den Rollstuhl zu müssen. Ohne den Sachverhalt mit der Teillähmung jetzt klein reden zu wollen…. Stellen Sie sich bitte folgendes Bild vor. Es gibt Menschen über deren Kopf ein unsichtbarer Magnet schwebt, der ihnen Tag für Tag die gesamte Kraft weg saugt. Sowohl physisch als auch geistig. Obendrein ist der Magnet noch so groß, dass er die Sonne verdeckt. Diese Menschen sind also immer im Schatten und alles ist grau und trüb. Jeder Tag, ja jede Stunde ist eine elende Qual. Alles ist schwer und kostet ungleich mehr Kraft, als dies bei gesunden Leuten der Fall wäre. Hinzu kommen noch verschiedene körperliche Erkrankungen, die ohne erkennbare Ursache einfach da sind und die regelmäßig wechseln.
Wie es dazu gekommen ist, wissen die meisten Betroffenen nicht. Viele wissen, besonders zu Beginn der Erkrankung überhaupt nicht, dass sie krank sind. Es war plötzlich da, genau wie der Unfall bei unserem Max Muster. Diese Krankheit nennt man Depression. Und genau wie unser Max Muster versuchen die Menschen, die an Depressionen erkrankt sind, ihr Leben weiter so zu leben wie zuvor. Das Problem ist nur, dass sofort Jemand bereit wäre, Max Muster den Berg hoch zu schieben, wenn er es aus eigener Kraft nicht mehr schafft. Einem Depressiven wird meist gesagt: „Reiß Dich mal zusammen, so schwer ist das nicht!“ oder etwas Ähnliches in der Art. Merken Sie, auf was ich hinaus will?
Das Handycap von Max ist offensichtlich, das eines Depressiven nicht. Er wird mit der Situation allein gelassen. Allein gelassen von Freunden, Kollegen und oft auch von der Familie. Er muss es schaffen! Ohne Hilfe! Und Niemand klopft ihm anerkennend auf die Schulter, weil er trotz schwerer Krankheit etwas wirklich Großes geleistet hat. Und Depressive schaffen es! Und wie! Sie kommen allen Verpflichtungen des Alltags nach. Sie stehen auf der Arbeit ihren Mann (auch die Frauen…), sind ihren Kindern gute Eltern, engagieren sich ehrenamtlich und vieles mehr. Sie haben ja auch nicht plötzlich ihren Verstand oder ihre Intelligenz verloren. Sie sind nur einfach immer am Rande ihrer Kraft. Depressive können außerordentlich kreative und begabte Menschen sein. Tatsächlich ist der Anteil dieser Menschen bei Depressiven besonders hoch. Auch solche mit klaren Hochbegabungen. Die meisten Depressiven sind auch klar erfolgsorientiert, arbeiten sehr genau und akkurat und haben ein sehr hohes Pflichtbewusstsein.
Dies führt aber zum Beispiel auf der Arbeit dazu, dass gerade diesen Leuten besonders viel aufgeladen wird. Das ist in etwa so, als wenn Max sich in seinem Rollstuhl allein auf einen hohen Berg gequält hat und man ihm sagt: „Das hast Du aber gut gemacht! Und weil es so toll war, darfst Du das jetzt jeden Tag machen. Am Besten gleich zwei Mal.“
Niemand würde sich das bei Max wagen, bei Depressiven ist das Alltag! Und sie stellen sich diesem Alltag jeden Tag aufs Neue. Manche brechen irgendwann unter der hohen Last zusammen. Es wird die Diagnose Depressionen gestellt und der Kranke ist zu überhaupt nichts mehr fähig. Jetzt passiert etwas Merkwürdiges. Anstatt den Kranken in einen imaginären Rollstuhl zu setzen, wird er von der Gesellschaft einfach ausgestoßen. Nie direkt und offen. Es ist mehr ein schleichender Vorgang. Im direkten Gespräch mit Anderen wird dem Depressiven das Gefühl von Verständnis und Anteilnahme vermittelt, doch insgeheim kreisen bei den Meisten, die ersten leisen Gedanken an eine Geisteskrankheit im Kopf herum. Und entsprechend verhält man sich. Spätestens dann, wenn der Kranke mal unangemessen reagiert hat, weil ihm gerade mal wieder alles viel zu viel wurde.
Man wird bei Beförderungen übergangen, von einem Leitungsposten plötzlich ins Lager versetzt, gemobbt. Freunde, der Lebenspartner, irgendwie einfach Alle, ziehen sich nach und nach zurück wollen mit einem nichts mehr zu tun haben. Das ist richtig gemein! Oder? Dabei waren das doch vorher die Menschen, die immer die besten Ideen auf der Arbeit hatten, denen keine Überstunde zu viel war, die vorbildlich ihrer Familie vor standen, die oft in Vereinen engagiert waren und jahrelang die Kindergruppe des Fußballvereins trainiert haben und die immer ein offenes Ohr für die Nöte ihrer Mitmenschen hatten. Jetzt sind sie total am Ende und Niemand ist für sie da… Dabei kann man der Gesellschaft nicht mal böse Absichten unterstellen. Das Hauptproblem liegt in der mangelnden Aufklärung über Depressionen. Irgendwie reagieren alle wie die Pawlowschen Hunde:
„Depressionen = Wahnsinnig“ Doch wie Sie gerade gelesen haben, hat dieses Paradigma mit der Realität überhaupt nichts zu tun. Stellen Sie sich einen Depressiven einfach als jemanden vor, der immer sehr müde ist. Mal mehr, mal weniger schlimm. Aber immer als Jemanden, der weiterhin seine Intelligenz und seinen Verstand hat. Und wie unser Max, brauchen auch Depressive gelegentlich Ihre Hilfe und auch mal ein gutes Wort oder Lob. Vor allem aber brauchen Sie Verständnis und am allermeisten, brauchen sie Sie!
Falls Jemand in Ihrem Umfeld an Depressionen erkrankt ist, lassen Sie ihn nicht allein. Auch wenn der Kranke ein bisschen anders ist als früher. Dass er nicht mehr so viel mit Ihnen lacht, liegt nicht an Ihnen, sondern daran, dass es ihm nicht gut geht. Da hat man, im wahrsten Sinn des Wortes, nicht viel zu lachen. Seien Sie sich sicher, mit entsprechender Behandlung ist eine Depression nur eine temporäre Erscheinung. In ein paar Wochen oder Monaten ist alles wieder beim Alten. Und es gibt noch einen wichtigen Grund, sich gegenüber Depressiven so zu verhalten, wie hier vorgeschlagen. Sie könnten der Nächste sein! Wirklich wahr. Statistisch gesehen erkranken 20 bis 25 Prozent aller Deutschen einmal im Leben an einer Depression! Die Wahrscheinlichkeit ist also relativ hoch. Depressionen sind in Deutschland Volkskrankheit Nummer 1!
Haben Sie schon einmal beobachtet, wie Spatzen mit einem entflogenen Wellensittich umgehen? Sobald das arme Tier nur in die Nähe der Spatzen kommt, hacken alle auf ihn ein, jagen ihn und lassen ihn nicht fressen. Ich habe selbst mal beobachtet, wie Spatzen einen Wellensittich zu Tode hackten. Depressive sind die Wellensittiche unserer Gesellschaft. Exoten sozusagen. Beginnen wir damit, diese Exoten auch wie etwas Besonderes zu behandeln und hören wir auf, ihnen das Leben schwer zu machen und auf ihnen herum zu hacken. Machen Sie doch gleich mal einen Anfang! Sie haben mit Sicherheit Jemanden in Ihrem Umfeld, der Depressionen haben könnte. Was wäre, wenn Sie ihn jetzt gleich anrufen und sich für morgen zum Kaffee verabreden. Vielleicht sind Sie der Erste, der dies seit Monaten gemacht hat. Und sicher können Sie sich auch vorstellen, welche große Freude Sie Ihrem Bekannten mit dieser kleinen Geste schenken können.
Autor: André Hoek